Spurensuche

In Deutschland ist das Thema Spurensuche unterentwickelt. Aufgrund des einzigartigen Hundewesens besteht für Jäger wenig Notwendigkeit, sich damit zu beschäftigen. Hunde folgen der Geruchsspur und es gilt zur Planung der Nachsuche allenfalls den Anschuss zu finden und aus dem vorliegenden Bild zu interpretieren wo das Stück getroffen wurde.
Ich empfehle dazu praktische Anschussseminare, die einem die Vielfalt der Hinweise vermittelt wie z.B. die unterschiedliche Farbe des Blutes oder die Lage von Blutspuren (vom Boden bis auf drei und mehr Metern Höhe).

Beim Militär taucht das Thema nur sehr vereinzelt im Zusammenhang mit den besonderen Anforderungen des asymmetrischen Krieges als Nebenthema auf einigen Lehrgängen auf. Mit der Rückkehr des klassischen Kriegsbildes durch den russischen Angriff auf die Ukraine dürfte das Thema Spurensuche diese Nebenrolle auch behalten. Das Identifizieren, Aufspüren und Stellen kleiner gegnerischer Trupps spielt dabei keine entscheidende Rolle mehr.

Für Naturliebhaber aller Art gibt es zwar Kurse im Spurensuchen, aber wer bei Google danach sucht, erkennt schnell, dass diese vielfach esoterisch angehaucht oder aus anderen Gründen wenig praxistauglich sind. Meist geht es auch nur darum, zu erkennen, welche Trittspur in Deutschland vorkommende Tiere hinterlassen haben.

Aber natürlich ist das Thema Spuren vielfältiger und das will ich gleich zu Beginn meines Artikels herausstellen: "Spuren" heißt für mich (und auch für das Militär) nicht nur Trittspuren, sondern gemeint ist jegliche Form der Umweltmanipulation, gleich, ob am Boden oder höher (z.B. an der Vegetation).
Genau so gleichgültig ist, es, ob man etwas hinterlassen hat (z.B. Trittspuren, Blut, Frassreste, Müll) oder etwas verändert hat (z.B. abgeknickte Zweige, niedergetretenes Gras, verrutschtes Moos) oder auch etwas "mitgenommen" hat (Äste, Sand, Erde, Grashalme).


Am Sandkasten: Gerannt, gegangen, etwas getragen?


John D. Hurth nennt folgende Arten von Spuren:
  • Regularity (regelmäßige Abdrücke, die in der Natur nicht vorkommen, z.B. die Struktur eines Stiefelabdrucks oder von Teilen davon; auch, wenn Tierspuren natürlich Teil der Natur sind, lässt sich dies abgewandelt auch für das Lesen tierischer Spuren anwenden; die Regelhaftigkeit sind dann z.B. Schalen- oder Tatzenabdrücke)
  • Flattening (Druck auf Objekte wie z.B. Gras, Sand, Schotter oder Moos hinterläßt eine Abflachung dieser Objekte, also z.B. niedergedrücktes Gras oder Moos)
  • Color Change (Farbänderung bedeutet, dass die Struktur oder Farbe einer Fläche verändert wurde; so steht niedergetretenes Gras farblich von dem noch stehenden ab, Eindrücke in feuchten Flächen sind dunkler usw.)
  • Transfer (etwas wurde von einem Geländeteil in einen anderen bewegt, etwa Sandkörnchen von einer sandigen Fläche in eine nicht-sandige oder Grasreste und Zweige an einen Ort, wo diese nicht vorkommen).
  • Disturbance (Störung bedeutet, dass der Ort nicht mehr in dem Zustand ist, wie er war, weil z.B. ein Blatt umgewendet wurde, Sand eingetragen wurde, Steine oder Zweige zertreten oder verschoben wurden usw.)
  • Litter (zwar bedeutet "litter" Müll, aber gemeint ist jedes in einen Ort eingebrachte Objekt; es kann menschlicher Müll sein, aber auch Blutspuren, Frassreste etc.)
Was Hurt in seinem Buch auflistet, hat er nicht erfunden, sondern es ist mehr oder weniger das, was auf militärischen Lehrgängen im Westen gelehrt wird. Wenn ich dennoch nur ein Buch über Spurensuchen besitzen dürfte, wäre es dieses - eben, weil es bewährter Standard ist.

Zum Abschluss der Einleitung noch die Frage: Warum sollte man sich in einem Jagdreiseblog damit beschäftigen? Ganz einfach. Ich kann nach der Jagd in rund 20 Ländern sagen: Bei den meisten Auslandsjagden gibt es entweder gar keine Hunde oder sie stehen nicht zur Verfügung, wenn es notwendig wäre und sind in aller Regel erheblich schlechter ausgebildet als in Deutschland. Zudem gibt es das Problem des Klimas (z.B. große Kälte oder Hitze) und des Geländes (z.B. Weitläufigkeit, Gebirge, Sumpf), die den Hundeeinsatz erschwert. Es kann deswegen leicht zu Situationen kommen, wo es nur auf den Jäger selbst ankommt, krankgeschossenes Wild zu finden wie ich z.B. in Namibia, Südafrika, Spanien und Frankreich erfahren habe (hier nachzulesen).

Die Ursprünge: Rhodesien und Südwestafrika
Natürlich faszinieren Spuren und die Spurensuche viele Menschen seit ihrer Kindheit - schon weil sie wichtige Elemente von Kriminal- oder Wild West- Geschichten sind. Sherlock Holmes und Old Shatterhand lesen auf dem Boden und an Pflanzen genauestens ab, wer wann was an einer bestimmten Stelle getan hat. Tatsächlich ist dies zwar übertrieben, aber vom Grundgedanken her genau das, was Spurensucher tun.
 
Die Kriege in Afrika waren sicherlich nicht die ersten und einzigen, in denen Spuren gesucht wurden, aber sie haben einige Besonderheiten, die dieser Kunst dort einen besonderen Stellenwert einräumten: Diese Kriege waren asymmetrisch, d.h. ein- und aussickernde, verdeckt kämpfende Insurgenten mussten identifiziert, verfolgt und gestellt werden und sie fanden in einer Welt statt, wo einheimische und weiße Jäger lange Traditionen und große Erfahrungen mit der Spurensuche hatten.
Die Kriege in Rhodesien (heute Simbabwe) und Südwestafrika (heute Namibia; damals unter südafrikanischer Verwaltung) fanden im Wesentlichen zwischen der jeweiligen Regierung und ihren weiß dominierten Streitkräften und schwarzen Insurgenten mit starker Unterstützung des Ostblocks statt.
Eine der wesentlichen Operationsarten der Insurgenten war, ein Übertritt über eine der langen Grenzen aus dem sicheren Hinterland und dann ein Angriff kleiner Trupps auf Farmen oder andere wenig gesicherte Ziele im Handstreich oder Hinterhalt. Nach vollendetem Angriff fand die Rückkehr über die Grenze statt. Grenzübertritte erfolgten aber z.B. auch zur Aufklärung/Erkundung, zum Anlegen von Depots oder zum Einschleusen von Agenten oder Verbringen von Material.
Die rhodesische und südafrikanische Armee verfügten nicht nur bei ihren Spezialkräften über erprobte weiße und schwarze Spurensucher. Zu nennen sind u.a. der rhodesische SAS (Special Air Service), die Rhodesian Light Infantry (RLI) oder das südafrikanische Koevoet. Darstellungen dieser Einheiten und der Kampfhandlungen gebe ich im Literaturverzeichnis an. Ein guter Artikel zu den Kämpfen in Rhodesien findet sich auch hier, ein weiterer zu Südafrikas Kriegen (u.a. Südwestafrika) findet sich hier.

Als Tschechien, das ironischerweise als Tschechoslowakei und damaliges Mitglied des Warschauer Paktes daran mitgewirkt hatte, die Insurgenten in Rhodesien und Südwestafrika zu unterstützen, 2002 mit seinen Einsätzen in Afghanistan begann, konnte man nicht auf eine eigene Tradition zurückgreifen, sondern ließ sich vom ehemaligen rhodesischen und südafrikanischen Operator David Scott-Donelan ausbilden, der (inzwischen in die USA emigriert) eine Tracker-Schule gegründet hat. Auch, wenn tschechische Soldaten heute u.a. an britischen Lehrgängen in Brunei teilnehmen, ist der Bezug auf die rhodesischen Ursprünge noch verankert. Ich selbst habe an einem hervorragenden dreitägigen Kurs in Tschechien teilgenommen, der u.a. von einem ehemaligen Operator durchgeführt wurde, der von Scott-Nolan ausgebildet worden war. Am Ende dieses Kurses war jeder der rund 15 Lehrgangsteilnehmer auf der Abschlussübung in der Lage gewesen, eine Spur von Insurgenten bis zum Ende zu verfolgen und Beweismittel u.a. Hinterlassenschaften zu sichern.


Training: Combat Tracker Team bei der Arbeit


Die Renaissance: Afghanistan und das Combat Hunter Program
Im Zuge des Krieges in Afghanistan und dem Irak, stärkten auch die USA ihre Soldaten am Boden durch ein spezielles Programm, bei dem das Tactical oder Combat Tracking eine wichtige Rolle spielte. Im Rahmen der Bekämpfung der oft schwer identifizier- und aufspürbaren Insurgenten wurden drei Fähigkeiten erkannt, die zum Überleben und für bessere Erfolge der US-Streitkräfte in diesen asymmetrischen Konflikten als notwendig erachtet würden:
1. Die Fähigkeit zur Beobachtung/Observation
2. Die Fähigkeit, Spuren des Gegners zu sehen, zu verstehen und ihnen bis zum Ergebnis zu folgen und den Gegner erfolgreich zu konfrontieren (capture or kill)
3. Die Fähigkeit, das Gefechtsfeld und die Umgebung zu lesen, um Muster und Anomalien davon festzustellen und zu verstehen (combat profiling)

Was die letzte Fähigkeit angeht, so existiert dazu ein Buch, das wesentliche Inhalte in der Theorie vermittelt: Shawn Coyne (Hg.): Left of Bang. How the Marine Corps' Combat Hunter Program Can Save Your Life. 2014.

Inzwischen sind Afghanistan und der Irak in die Kriegsgeschichte eingegangen und ich bezweifele, dass Spurensuchen in der derzeitigen Situation ein militärisch relevantes Thema ist. Artilleriesysteme, Panzer, Flugabwehr und Drohnen sind viel eher Schlüsselwörter militärischer Fähigkeiten. Bei den Spezialkräften und im polizeilichen Bereich hingegen dürfte das Thema Spurensuche in Nischen überleben. Eine Firma, die taktische Bekleidung und Ausrüstung herstellt, hat in einer YouTube-Serie mit einem ehemaligen Angehörigen der niederländischen Special Forces diese Art Einsatz hervorragend erklärt (hier zu finden).

Das Resümee: Lessons learned
An dieser Stelle ist nur das interessant, das man jagdlich verwenden kann. Dazu einige Lektionen.

Die erste Lektion betrifft die Position von Spur, Beobachter und Lichtquelle (sei es die Sonne oder eine Lampe bei Dunkelheit). Wir wollen zur stärkeren Hervorhebung der Konturen den Schatten benutzen, also soll sich die Lichtquelle immer dem Beobachter entgegen befinden. Anders ausgedrückt: ich beobachte die Spur gegen die Sonne!

Die zweite Lektion betrifft das Verfolgungstempo. Wenn man nicht aus kriminalistischen oder wissenschaftlichen Motiven Spuren sucht und sichert, ist es unnötig, jede einzelne Spur zu beobachten, so lange man über die nächsten Spuren weitere Spuren sieht. Entscheidend ist das flüchtige Wild (oder militärisch die flüchtenden Insurgenten) zu stellen. Da diese einen zeitlichen Vorsprung haben (denn sonst würden wir sie und nicht ihre Spuren verfolgen), müssen wir diesen Vorsprung verringern, um sie anzutreffen (sofern sie nicht verweilen). So lange ich genug weiter entfernte Spuren sehe, befasse ich mich also nicht mit den nächstliegenden, sondern erhöhe mein Tempo. Erst, wenn ich die Spur verliere oder es befürchte (z.B. statt Blutspur nur noch vereinzelte Tropfen), mache ich sogenanntes Mikrotracking.

Wenn ich die Spur verliere, gibt es drei Techniken, sie wiederzufinden. man wendet sie stur nacheinander an. Ich habe erlebt, wie selbst ungeübte Tracker damit am Ende erfolgreich waren (auch, wenn sich dadurch der zeitliche Vorsprung natürlich erhöht). Topexperten sagen, dass jeder auch einmal eine Spur verliert. Die Frage ist nur, wie diszipliniert man dann die Techniken anwendet. Alles beginnt mit der Markierung des letzten sicheren Punktes (in einer taktischen Situation ist zu überlegen, ob man dies durch Zeichen am Boden tut, die die eigene Anwesenheit und den Einsatz von Spurensuchern verraten oder besser durch einen Mann aus dem Trackerteam, aber jagdlich ist das bedeutungslos). Um diesen letzten bekannten Punkt dreht sich alles.
  • Die erste Technik verlangt eine Vermutung über die Hauptbewegungsrichtung (etwa aus der Strecke bis dorthin und den Geländebegebenheiten abzuleiten). Ich habe oft genug gesehen, dass sich alle möglichen, auch schweren Wildarten auf der Flucht auch nicht anders verhalten als Menschen. Wenn es keine panikartige Flucht oder eine schwere Verletzung mit Aufmüdung ist, bevorzugen sie einfachere Wege. Die Rückegasse oder den lichten Wald statt dem Unterholz. Erst die Absicht des sich Versteckens führt in die Dickung (bei krankgeschossenen Tieren). Man geht also bis sieben Meter gerade in Hauptbewegungsrichtung sowie je rechts und links 30 Grad davon in weniger wahrscheinliche Bewegungsrichtungen.
  • Ist das nicht erfolgreich, schlägt man einen Zirkel mit einem Durchmesser von 15 Metern beginnend mit dem Punkt der letzten Sichtung und geht diesen ab. Ziel ist es, den Austritt (exit point) aus dem Zirkel zu finden.
  • Scheitert auch das, schlägt man auf gleiche Weise einen zweiten, größeren Zirkel mit einem Durchmesser von 20 bis 30 Metern. Auch hier wird wieder der Austrittspunkt gesucht.
Scheitert schließlich auch das, wird es sehr schwierig und es bleibt nur noch ein Blick in Karte und Gelände, um Abschnitte zu finden, die sich besonders gut für eine Spurenaufnahme eignen, wie Gewässer, sandige oder schlammige Stellen, Felder, hohes Gras etc.

Diese Idee der Suche eines Entry- oder Exit-Punktes ist Jägern naturgemäß nicht fremd. Um beispielsweise festzustellen, ob sich Wild in einem Maisfeld aufhält, sucht man den in der Regel weichen Boden an den Feldkanten ab. Wenn es zusätzlich einen Randstreifen gibt, der zumindest von einer ein- und ausziehenden Rotte Schwarzwild niedergedrückt würde, ist die Feststellung, ob Wild darin ist noch einfacher: Gibt es einen Entry, aber keinen Exit, müssen sie noch drin sein.


Niedergetretenen Gras ist klar erkennbar - von der richtigen Seite betrachtet


Für das Spurensuchen gilt, wie für Vieles, das Motto "use it or loose it". Zudem ist Erfahrung nicht alles, aber vieles. Damit will ich dazu ermuntern, das Erfassen von Spuren zu einer Routine im Gelände zu machen. Aus Büchern kann man nicht alles lernen, aber gerade für das Spurensuchen bilden sie eine gute Inspiration, Einführung und Fortbildung - praktische Übungen vorausgesetzt.

Ergänzend empfehle ich einen Spurengarten. Ich habe, als meine Tochter klein war, mit ihr fast das selbe gemacht wie später in Afghanistan zu beobachten war: man legt eine Art Sandkasten in Schachbrettform an. Und dann bringt man nebeneinander Spuren auf. Wir haben damals Rehschalen geschnitzt und in verschiedene Untergründe eingedrückt. In Afghanistan hatten sie auch menschliche Exkremente, MREs, Papier usw. Alles nebeneinander. Dann bringt man nach einem oder zwei Tagen identische Spuren jeweils dahinter auf. Und ein oder zwei Tage danach erneut usw. Man beobachtet (und dokumentiert ggfs.) täglich das Altern dieser Spuren. Am Ende kann man im Gelände unter den örtlichen Gegebenheiten sehr viel besser bestimmen, wie alt eine Spur ist.

Literatur
  • Bob Carrs: The Complete Guide to Tracking. 2. Ausgabe 2009. (Carrs ist ehemaliger britischer SAS-Operator)
  • Chris Cocks: Fireforce. One Man's War in the Rhodesian Light Infantry. 2007.
  • Shawn Coyne (Hg.): Left of Bang. How the Marine Corps' Combat Hunter Program Can Save Your Life. 2014.
  • Jim Hooper: Koevoet! Experiencing South Africas Deadly Bush War. 2012. 
  • John D. Hurth: Combat Tracking Guide. 2012. (Hurth ist ehemaliger US-Operator)