Der "Härtekomplex" - eine Leistungsüberprüfung

Der Begriff "Härtekomplex" entstammt der ehemaligen NVA, den Streitkräften der DDR. Er bezeichnete eine Art halbjährliche Leistungsüberprüfung mit festgeschriebenen Anforderungen in verschiedenen Disziplinen.
In dem Buch "Vom Himmel auf die Erde ins Gefecht" über die Fallschirmjäger der NVA (erschienen 1992) wird beschrieben, dass der Härtekomplex, eine "Tortur für Körper und Geist" im März/April und August/September stattfand.

Bei den Fallschirmjägern waren die Anforderungen dafür höher als bei den Mot. Schützen (einer Art Panzergrenadiere) und sie steigerten sich auch innerhalb der drei Ausbildungsjahre.




Die Disziplinen waren bei den Fallschirmjägern:
  • 3.000, 5.000 bzw. 10.000 m Lauf 
  • 15 oder 20 km Fussmarsch
  • 800 m Sturmbahn
  • Überwinden eines Wasserhindernisses auf 200 m Strecke

In meinem Buch über das Marschieren habe ich diese und viele andere Leistungsüberprüfungen genauer beschrieben.
Sinn solcher Leistungsüberprüfungen ist nicht nur die Selektion vor oder während bestimmter Verwendungen oder Laufbahnen, auch, wenn dies heute in vielen Armeen der einzige Zweck zu sein scheint. Die NVA verlangte dies als ganz normale Leistungskontrolle für den Vorgesetzten, aber auch für den Mann selbst innerhalb einer Verwendung und zwar im Hinblick auf die Leistungen des Einzelnen, aber auch des Kollektivs. Der Härtekomplex war schließlich in der Teileinheit gemeinsam zu absolvieren und zwar ohne Zurücklassen von Einzelnen (mit Ausnahme dienstunfähiger Verletzter).
Zwar gibt es beispielsweise auch im der Bundeswehr weiterhin regelmäßige Überprüfungen der körperlichen Leistungsfähigkeit, aber wer meint, dies werde in Kommandobehörden, Ausbildungszentren und anderen Stabsverwendungen konsequent überwacht oder gar regelmäßig trainiert, träumt.

Ich habe mit Freunden zusammen zwei Modelle für unseren ganz persönlichen Härtekomplex definiert und bin mir sicher, dass im Laufe der Zeit noch weitere hinzukommen. Zwar war es so gedacht, dass wir diese zusammen absolvieren und danach dann unseren Spaß haben - etwa bei einem gemeinsamen Grillen, aber natürlich hat die Pandemie dieses Vorhaben wie so Vieles andere nachhaltig gestört. Aber wir wollten uns diese Idee nicht nehmen lassen und haben deshalb 2020 und 2021 unseren Härtekomplex dezentral abgehalten. Jeder hat die definierten Aufgaben für sich oder mit einem Partner bei sich in der Nähe durchgeführt. Zwar sind die Bedingungen damit nicht komplett vergleichbar, denn in einer flachen Gegend kann man einfach keine Steigungen simulieren, aber wir haben uns bemüht, so gut es geht gleiche Voraussetzungen zu schaffen.




Die Variante 1 lässt sich an einem Tag absolvieren und mit 10-20-30 beschreiben, also mit 10 kg Gepäck einen Marsch von 20 km absolvieren und danach 30 km Radfahren. Diese Variante geht auf Zeit und man sollte bei den 20 km unter drei Stunden bleiben (was mir Mitte April 2021 auf die Minute gelang, wobei ich allerdings die letzten zwei km joggen musste) und für die 30 km sollte man nicht mehr als zwei Stunden brauchen (ich schaffte es in 1 h 43 mit zwei Mal abgesprungener Kette). Mit einem guten Rad sollte rund 1 h 20 möglich sein.

Die Variante 2 dauert zwei Tage und hierbei steht das Durchhalten im Mittelpunkt. Sie ist treffend als "50er" bezeichnet, denn sie erfordert an zwei Tagen hintereinander erst 25 km Marsch (wieder mit 10 kg), dann in der Pause 25 Liegestütze und ebensoviele Liegestützsprünge und nachmittags 25 km Radfahren. In Summe sind dies 50 km Marsch, 50 km Radfahren und jeweils 50 Liegestütze und Liegestützsprünge.
Man kann dies bequem an einem Wochenende stattfinden lassen. Der Witz bei der 50er-Variante ist natürlich, sich nach Tag 1 die notwendige Erholung zu verschaffen und sich an Tag 2 aufzuraffen, das Ganze noch einmal und zwar mit den Folgen des Vortages durchzuziehen. Hier spielt der Kopf eine wichtige Rolle.
Hierbei geht es also weniger um die einzelne Zeit als um das Durchhalten dieser zweitägigen körperlichen und wegen der Eintönigkeit der Beschäftigung auch geistigen Anstrengung.
So waren Ende April 2020 meine Zeiten dann auch so viel schlechter als eine Woche zuvor beim Eintagescontest (4 h 37 bzw. knapp unter 5 h Marsch und 130 bzw. 120 Minuten mit dem Rad). Aber ich bin gut durchgekommen.

Man kann die Werte in einer Gruppe dann vergleichen, wenn alle eine Fitness-App oder wenigstens eine Navigations-App benutzen und natürlich kann man dann in einer eigenen Whatsapp-Gruppe die Ergebnisse teilen und kommentieren.






Wünschenswert wäre zwar auch Schwimmen, aber abgesehen davon, dass die Schwimmbäder wegen der Pandemie geschlossen sind, ist es auch zu normalen Zeiten wegen des Publikumsverkehr oft schwierig, dort lange und zielgerichtet zu trainieren.

Wie beschrieben ist der primäre Zweck - außer der Freude an der Bewegung - eine ganz individuelle Leistungsüberprüfung. Man vergleicht sich dabei also mit sich selbst (was mehrere solcher Events voraussetzt). Natürlich vergleicht man sich auch untereinander, aber erstens sind nur bei gleichen Bedingungen die Daten auch wirklich vergleichbar (das reicht dann so weit, dass sogar die Fahrräder ähnlich sein müssen, da man z.B. mein Mountainbike nicht mit einem Rennrad vergleichen kann) und zweitens spielt bei einer Gruppe ambitionierter Sportler das Alter natürlich eine wichtige Rolle und ich tue es zwar, kann mich aber unmöglich mit einem aktiven Soldaten Anfang 30 vergleichen. Allerdings habe ich auch gesehen, dass die Pandemie mit ihrem Home Office so viel mehr Möglichkeiten geboten hat, Sport zu treiben, dass sich die Unterschiede etwas weniger stark auswirken.