Messer sind Werkzeuge und haben völlig verschiedene Aufgaben. Schon, wenn es nur um die "rote Arbeit" selbst geht, unterscheidet sich ein Messer, das ich zu Hause für Rehwild verwende erheblich von dem, das ich beispielsweise in British Columbia für einen Elch oder ein Whitetail einsetze. Zwar kann ich vermutlich Wild mit nahezu jedem Messer mehr oder weniger gut versorgen, aber die Frage ist, wie schnell und gut das geht.
Hinzu kommt: Die Einsatzzwecke sind vielfältiger. So ist es auf manchen Auslandsjagden sinnvoll, Messer mitzuführen, mit denen man im Notfall Holz machen oder ein Lager improvisieren kann. Beide Fälle habe ich erlebt. Man muss dazu nicht nach Kanada oder Sibirien reisen. Gezwungen sein, die Nacht unter gefährlichen Bedingungen draußen zu verbringen, kann man genau so gut in schwedisch Lappland oder in abgelegenen Teilen Schottlands.
Messer im Kontext
Niemand wird nur ein Messer mit auf eine Jagdreise nehmen. Je nachdem, wohin es geht und unter welchen Rahmenbedingungen die Reise stattfindet (z.B. Pirsch zu Fuß, zu Pferde, mit dem Boot oder im Kfz) wird man mehrere Messer oder zusätzlich eine Gartenschere, ein Beil, eine Säge, einen Feuerstahl und weitere Ausrüstung mitführen.
Vorschlag für eine neue Typologie
Ich unterscheide in folgende Aufgaben, für die man Jagdmesser einsetzen kann:
1) Survival: Ein Survivalmesser soll insbesondere im Notfall dazu dienen, Holz zu zerkleinern bzw. zu spalten (für Feuer) und zu bearbeiten (Lagerbau). Daraus resultieren besondere Anforderungen an Länge und Gewicht.
Es kann sich ein Zielkonflikt je nach Art der Jagd ergeben, indem ein zu schweres, zu langes Messer im Berg bzw. bei langen Fußmärschen oder auf dem Wasser (insbesondere im Fall des Kenterns) behindern kann.
In einer Nebenfunktion kann ein solches Messer wie eine Art Standhauer verwendet werden, also, um sich z.B. einen Blind zu bauen, einen Pirschweg freizumachen oder Schuss- oder Sichtfeld zu schaffen. Ein ideales Survialmesser ist für mich das "Longhorn Bowie" von Tops Knives. Besprochen ist es hier.
Longhorn Bowie |
2) Aufbrechen/Versorgen von Wild: Ein solches Messer dient der feldmäßigen Versorgung von Wild und nicht der Weiterverarbeitung in der Wildkammer. Die Bandbreite reicht hier von kleinem Wild im heimischen Revier bis hin zu Großwild, dessen Trophäe und Fleisch z.B. in Kanada komplett geborgen werden muss. Vielleicht geht es aber auch "nur" darum, das Haupt abzuschärfen, wie beispielsweise bei der Steinbockjagd in Spanien oder der Wildziegenjagd in Wales.
Berücksichtigen muss man, dass man auf der Jagdreise möglicherweise nur das Messer, nicht aber Knochensäge oder Astschere oder ähnliche andere Werkzeuge hat.
Messer, die ich verwendet habe, reichen vom "Guardian 3" von Bradford Knives (für so kleines Wild wie Muntjaks in England) bis zum "Kodiak Jac" von Tops Knives (hier besprochen).
Kodiak Jac |
Seltene Sonderfälle sind Messer, die sich zum Häuten (Skinning), zum Lösen des Fleisches vom Knochen bzw. generell zum Weiterverarbeiten in der Wildkammer eignen. Wenn man auf der Jagdreise diese Arbeiten erledigt und keine entsprechende Ausrüstung vorfindet, empfehle ich Sets wie die von Outdoor Edge.
Guardian 3 |
3) Abfangen: Den meisten deutschen Jägern sind wegen der Schwarzwildjagd die Anforderungen an ein gutes Abfangmesser bekannt: Die Klinge muss lang und spitz genug sein, um Organe zu treffen und in den Wildkörper leicht eindringen zu können.
Ich selbst nutze hierfür das "Wild Pig Hunter" von Tops Knives oder das "All Purpose Fighting Knife" von Randall Knives. Ein guter Beitrag zu Abfangmessern findet sich hier.
Wild Pig Hunter |
4) Zubereitung von Essen/allgemeine Schneideaufgaben: Unter diesen Aufgabenbereich fällt nicht nur das Zerkleinern von Nahrung beim Essen oder Kochen, sondern z.B. auch das Aufschneiden von Verpackungen, das Zurechtschneiden von Seilen oder Schnüren und kleinere Arbeiten ähnlicher Art. Ich nehme - insbesondere, wenn ich zwei Messer mitführe und das erste groß und schwer ist - hierfür ein kleines Klappmesser wie das Mercator mit (hier beschrieben).
Mercartor-Messer (oben) und Douk-Douk |
5) Selbstverteidigung: Ein in Deutschland schwieriges Thema und vielleicht auch schwierig umzusetzen, wenn man sich mit der Möglichkeit, ein Messer als Waffe einzusetzen, noch nicht beschäftigt hat. Aber je nach Reiseziel kann es Sinn haben, mit einem geeigneten Messer notfalls eine Art "letzte Widerstandslinie" zu haben. Ein guter Beitrag zu Kampfmessern findet sich hier.
6) Rettungsmesser im weitesten Sinne: Auch wenn es nicht häufig zu einer Jagdreise gehört, gibt es dennoch Fälle, wo man klettert (Arbeit mit Seilen), Kanu oder andere Boote fährt (und sich z.B. beim Kentern befreien muss) und gut mit einem Rettungsmesser bedient ist, mit dem man sich notfalls losmachen kann. Hier kann je nach "Sportart" ein Messer mit Wellenschliff und abgerundeter Spitze anzuraten sein, auf das man leicht Zugriff hat.
Leatherman Raptor |
Zu den Messer, die wir heute kaum noch brauchen, gehört der Nicker. Ich kenne keinen einzigen Jäger, der Rehwild noch auf diese Art abfängt. Das gleiche gilt für Hirschfänger.
Saufedern hingegen gehören angesichts der Zunahme von Schwarzwild und Bewegungsjagden meiner Beobachtung nach heute stärker zum Jagdalltag als noch vor 10 Jahren.
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Ich habe auf allen Jagdreisen Messer mitgeführt. Selbst in Ländern, die als "schwierig" im Umgang mit Messern verschrien sind, wie z.B. England, gab es nie Probleme. Am auffälligsten war das Interesse einige Male bei der Rückreise nach Deutschland, wo ich erst vor kurzem einen Zöllner darüber belehren mußte, dass das "Mark 1" mit einer Klingenlänge von unter 12 cm noch nicht einmal von einem Führverbot betroffen ist, geschweige denn irgendetwas daran auszusetzen ist, wenn es in meinem verschlossenen Waffenkoffer mitgeführt wird.
Kabar Mark 1 |
Diese Lösung des Mitführens halte ich nach wie vor für am besten, da die Waffe schließlich immer gesondert eingecheckt wird und der Koffer gut gesichert ist.
Weiterhin ist es ratsam, sich vor Reiseantritt darüber zu informieren, wie das Messerrecht in dem jeweiligen Land ist (beispielsweise hier; mögliche künftige Änderungen beachten!) und zu berücksichtigen, was man mit dem Messer macht. Ich hielt es bei einer Jagdreise nach Frankreich in diesem Sommer wegen der gesetzlichen Lage und der zu erwartenden Nervosität der französischen Polizei nach den Terroranschlägen im Land beispielsweise für ratsam, auf der Jagd zwar ein feststehendes Jagdmesser zu tragen, danach bei der sich anschließenden Rundreise jedoch nur ein nicht feststellbares Klappmesser. Auch an sich "unverdächtige" Gegenstände wie z.B. Leatherman-Tools können übrigens als "Einhandmesser" gelten.
Leatherman Wave und Gerber Central Drive |
Unabhängige Auswahl
Jetzt stellt sich noch die Frage, welches von mehreren geeigneten Messern man erwirbt und mitführt. Man könnte meinen, das Internet würde darauf eine Antwort geben. Das bezweifele ich allerdings.
Ich gebe zu, ich sehe sie auch gerne: Messer-Reviews auf Youtube. Ich kenne aber nur wenige Youtuber, denen ich einen unabhängigen und echten Test abnehme. Dazu gehören z.B. "Gideons Tactical" und "Preparedmind101" (beide aus den USA). Allerdings sind beide keine Jäger.
Das heißt nicht, dass ich nicht auch die "Reviews" anderer Youtuber ansehe. Nur ist dann meine Perspektive eine andere. Ich sehe deren Beitrag eher wie eine Art Anregung
Meine Kritikpunkte an nahezu allen deutschsprachigen Messer-Reviewern sind erstens mangelhafte Unabhängigkeit und zweitens mangelhaftes Testen.
Es ist schon Mal gut, wenn Reviewer zu Beginn des Videos erklären, wer ihnen das Messer zur Verfügung gestellt hat. Ich bezweifele aber, dass ein regelmäßiges Bereitstellen von Messern nicht irgendwann in einem Naheverhältnis zum Händler/Hersteller führt, das eine echte Bewertung beeinflusst. Für besonders unglaubwürdig halte ich Reviews, die Händler oder Hersteller selbst erstellen. Ein Beispiel für echte Unabhängigkeit ist der deutsche Youtuber "Blackforestghost".
Das Testen ist ein zweiter Schwachpunkt vieler Youtube-Reviews. Man müßte das Messer schon in der Funktion testen, in der ich es verwenden will und zwar über einen längeren Zeitraum. Und dann müßte man es schließlich auch noch bewußt überstrapazieren - ähnlich wie man bei Belastungstests mit Schußwaffen mit Gasdrucken arbeitet, die normale Fabrikmunition nicht erreicht. Zu einem solchen Belastungstest gehört für mich auch das Batoning, das von Bushcraft-Anhängern gerne verdammt wird. Allerdings habe ich mich mehrfach auf Jagdreisen überraschend in der Situation befunden, unter schwierigen Wetterbedingungen Holz für ein Wärmfeuer herrichten zu müssen. Selbstverständlich hatte ich dann kein Beil bei mir und Batoning war zwingend notwendig, um an kleineres oder trockeneres Holz zu gelangen (hier "rechnet" der Youtuber Preparedmind101 mit der dogmatischen Verweigerung solcher Messsertests treffend ab).
Ein Beispiel für ein echtes jagdliches Führen ist der deutsche Youtuber "Jackknife68", bei dem mich allerdings die von mir vermutete Nähe zu manchen Händlern/Herstellern stört. Zugegebenermaßen stellt er das aber zu Beginn seiner Clips klar. Und seine Reviews sind unzweifelhaft gut.