Für Rehwild in Deutschland nehme ich eine extrem kurzläufige Remington 700 im Kaliber .308, für Schwarzwild die Mauser M03 mit schwerem Matchlauf im Kaliber .300 Win Mag und für die Drückjagd habe ich einen Wechsellauf im Kaliber 8 x 57 IS und eine Selbstladebüchse SLB 2000 im gleichen Kaliber. Wozu also die .222?
Für Großwild und Bergjagd gelten sehr spezifische Waffenanforderungen, die ich bereits beschrieben habe. Und auch bei einigen, sehr reizvollen europäischen Jagden kann man eine zusammenfassende Waffenempfehlung geben. Ich nenne diese Reisen "kleine Jagden" und ich will mich ihnen in den kommenden Jahren verstärkt widmen.
"Kleine Jagden" nach meiner Definition sind nicht nur solche auf Kleinwild, sondern sie kosten auch verhältnismäßig "kleines Geld" und erfordern einen viel geringeren Aufwand als Afrika oder das Hochgebirge. Aber sie bieten einen erstaunlich hohen Erlebniswert und können gut den krönenden Abschluss einer langen Jagdkarriere bilden.
Ich zähle dazu beispielsweise die Auer- und Birkhahnjagd in Schweden, die Biberjagd in Schweden oder den baltischen Ländern, die Murmeltierjagd in Österreich, die Truthahnjagd in der Slowakei oder die Jagd auf Chinese Water Deer und Muntjak in England.
Ihnen allen ist gemeinsam, dass man mit der Kugel jagt (anders als beispielsweise bei der Auer- und Birkhahnjagd in Rußland) und Schussdistanzen über 150 Meter selten und auch nicht erstrebenswert sind. Es sind in der Regel Pirschjagden und diese verlaufen entspannter, wenn man keine zu schwere Büchse mitführt. Man muss keine .222 einsetzen, aber sie eignet sich eben gut und die Munition ist weit verbreitet und hat Reserven (anders als Exoten wie die .17 HMR oder ähnliches).
Was kann das Kaliber?
Die .222 (5,7 mm x 43) kam 1950 als reine Remington-Entwicklung auf den Markt und wurde schnell ein Verkaufsschlager. Entwickelt wurde sie maßgeblich von Mike Walker, einem der einflussreichsten Waffenentwickler und -designer der Welt, der über 37 Jahre bei Remington tätig war und u.a. auch die Modellreihe Remington 700 entwickelte und Mitbegründer der International Benchrest Shooters (IBS) war. Mit 101 Jahren starb Walker im Jahr 2013. Noch 2010 hatte er mit 99 Jahren bei den IBS Nationals mitgeschossen.
Bis 150 m verfügt die .222 bei einem Geschossgewicht von 50 oder 55 Grains über eine große Eigenpräzision bei geringem Schussknall und wenig Rückstoss. Zudem ist die Patrone nicht teuer und in Europa und den USA in vielen Laborierungen erhältlich. In den USA primär von "varmint and predator hunters" genutzt und bald auch von Benchrest-Schützen entdeckt, die die .222 rund zwei Jahrzehnte präferierten, wurde die Patrone in Europa hauptsächlich für Rehwild eingesetzt.
Vergleicht man für die Patrone RWS Teilmantel, die ich verwende, die Kaliber .222 und .223 miteinander, stellt man fest:
222: 3,24 Gramm Geschossgewicht
223: 3,6 Gramm
222: Geschossabfall auf 150 m -2,0 cm
223: -2,4 cm
222: Mündungsgeschwindigkeit (V0) 970 m/s
223: 1.000 m/s
222: Energie bei 100 m 970 m/s
223: 1.276 m/s
Jagdlich schaden für den genannten Zweck die leicht geringeren Leistungswerte der .222 nicht. Im Gegenteil halte ich diese Patrone bei derart kleinem Wild für geeigneter. Bei Rehwild oder Weitschüssen auf Fuchs würde es natürlich anders aussehen.
Nicht nur die .223 und ihr Überangebot an Laborierungen und ihre Geschwindigkeitsvorteile haben die Bedeutung der .222 vermindert. Hinzu kommen für neue Laborierungen für sehr spezische Anforderungen wie etwa der "Giftzwerg" 17 HMR. Und schließlich scheint auch die Tatsache, dass eine Patrone militärisch genutzt wird, ihre Attraktivität zu steigern. Das Vorhandensein von Surplus-Munition reicht aber als Erklärung nicht aus, denn jagdlich ist dies nicht mehr entscheidend.
Aber gerade darin liegt eine neue Chance für die .222, denn es gibt inzwischen ein gutes Angebot sehr ordentlicher Gebrauchtwaffen.
Büchsen der Serie Remington 700 gibt es seit 1962 in nahezu identischer Bauweise, auch wenn dieses Modell auf wesentlich ältere Erfolgsrepetierer von Remington zurückgeht. Inzwischen sind nicht nur viele Millionen Exemplare von Jägern in aller Welt geführt worden, sondern auch die US-Streitkräfte und Polizeien haben seit dem Vietnamkrieg die Remington 700 in zahlreichen Konfigurationen als Scharfschützen- bzw. Präzisionsschützenwaffen eingesetzt - mehr als jedes andere Modell.
Roy Marcot schreibt in "The History of Remington Firearms": "Without a doubt, the Remington 700 model is the most popular commercial, high-power, bolt-action rifle in the world. The model 700 is actually a product-improved Model 721 and Model 722 bolt-action rifle, the brain-child of Merle 'Mike' Walker and his Remington design team in the 1940s."
Mir selbst sind im Laufe der Jahre eine Menge Leihwaffen in unterschiedlichem Kaliber im Ausland begegnet - meistens Remington 700 Modelle. Oft genug waren Optik und/oder Montagen zweifelhaft. Die Waffen hingegen waren zwar manchmal stark verschmutzt und sogar angerostet, aber sie haben immer ohne jede Störung geschossen. Auffällig ist insbesondere im Vergleich zu deutschen Waffen und ihren sprichwörtlich engen Toleranzen, dass ich auch mit Remington 700-Repetierern schießen konnte, die durch Staub und Sand verschmutzt und nur oberflächlich gereinigt worden waren.
222, 223, 308, 300 |
Was habe ich für meine Waffe bezahlt?
Wie gesagt interessierte mich die .222 nicht nur wegen ihrer Verwendbarkeit für "kleine Auslandsjagden", sondern auch wegen des großen Angebots guter Gebrauchtwaffen. Ich fand über die Waffenhandelsplattform des Verbands der Büchsenmacher eine gebrauchte Remington 700 für knapp 500 Euro. Mein Büchsenmacher stellte einen exzellenten Zustand, insbesondere einen trockenen Abzug mit geringem Widerstand fest. Für rund 800 Euro fand ich darüber hinaus ein Glas von Steiner (3-12 x 50), das als Vorführmodell voll funktionsfähig war und nur geringe "Macken" aufwies. Mein Büchsenmacher brachte eine preisgünstige, aber solide Montage an und damit hatte ich - zusammen mit 200 Schuss RWS - für rund 1.500 Euro ein absolut zuverlässiges System aus Gewehr, Optik und Patrone.
Auf dem Schießstand waren schnell die große Präzision, der ungewöhnlich leichtgängige Abzug und die Einsatzgrenze bis 150 Meter erkennbar. Als besser erwies es sich bei einem kleinen Tier bei rund 100 m Schußdistanz zu bleiben, um nicht mit 4 cm Höhenunterschied kalkulieren zu müssen - bei einem stehenden Biber oder Murmeltier vertretbar, bei einem Birkhahn aber nicht.