Kaliber .300 Win Mag und Patronen für die Auslandsjagd

Die 1963 eingeführte Patrone .300 Winchester Magnum ist für mich trotz ihrer vielen, teilweise auch moderneren Alternativen, nach wie vor der Goldstandard für weite Schüsse auf mittelschweres Wild.
Insofern kann ich Scott Olmsted, Herausgeber des American Hunter-Magazins, zustimmen, der sagt "If I had to pick a favorite cartridge of all time, the .300 Winchester Magnum would rate near the top of the list."

Die auf der 1958 eingeführten .338 Win Mag basierende Patrone verfügt über rund 20 Prozent mehr Energie als die .308 oder 30-06 und bietet schon deshalb mehr Potenzial auf weitere Entfernungen oder bei schusshärterem Wild.




Für sie sprach bei Einführung zunächst, dass sie noch eine normale Länge aufweist und deshalb in Standardverschlüsse passt. Dieser kommerzielle Vorteil trug erheblich  zu ihrer Verbreitung bei und Millionen von Winchester 70 oder Remington 700 in diesem Kaliber sind in den letzten 50 Jahren weltweit zum Einsatz gekommen. Je verbreiteter eine Patrone ist, desto mehr Laborierungen gibt es tendenziell und desto geringer ist der Stückpreis.

Zu diesen drei Vorteilen (Verbreitung von Waffen und Patronen dieses Kalibers nebst vergleichsweise geringem Preis für beide) kam gegen Ende des Kalten Krieges die erhebliche Zunahme von Präzisions- und Scharfschützen bei Polizei und Militär, bei denen die .300 Wing Mag neben der .308 und später der .338 Lapua Mag zum Standardkaliber avancierte. Das erhöhte noch einmal die Anzahl verfügbarer Waffenmodelle, so dass heute, über 50 Jahre nach ihrer Entstehung, so gut wie jeder Hersteller dieses Kaliber anbietet.

An der .300 Win Mag wird gerne kritisiert, dass der Hülsenhals kurz ist und schwere und lange Geschosse deshalb so tief gesetzt werden müssen, dass weniger Platz für das Pulver bleibt. Aber erstens gleichen moderne Pulver diesen Nachteil aus und zweitens sind mit kaum einem anderen Kaliber seit 1963 so viele Stücke Wild zur Strecke gekommen und insbesondere seit 9/11 so viele Ziele von Snipern ausgeschaltet worden wie mit der .300 Win Mag. Wäre dieses Kaliber nicht hochgradig für den harten Einsatz mit hoher Ersttrefferwahrscheinlichkeit geeignet, hätte dies niemals stattgefunden.

Mit ihrer Verfügbarkeit setzt sich die .300 Win Mag auch nach wie vor von ihren vielen alten und neuen "Konkurrenten" ab.
Es ist nach wie vor richtig, was Schriftsteller Craig Boddington schreibt: "As this writing the .300 Winchester Magnum is the most popular 'fast .30', but has tremendous competition."
Aber es ist eine Sache, ob bei der .300 Weatherby Magnum die Daten besser und bei der .300 Winchester Short Magnum die Pulverausbeute besser und das Schussverhalten angenehmer sind oder ob für die allermeisten Jäger die Büchse im Kaliber .300 Win Mag mit ihrer Munition schlichtweg leichter und kostengünstiger verfügbar ist - bei nahezu identischer Leistung!


Klickverstellung des Ballistikturms meiner M03 mit RWS Speed Tip


Meistens werden Geschossgewichte von 165 bis 200 Grains empfohlen und der Einsatz auf mittlere Entfernungen von bis 600 Meter (auch, wenn die Patrone selbstverständlich deutlich darüber hinaus wirkt). Kaufen kann man jedoch bereits Patronen mit Geschossen ab 130 Grains.
Ich selbst habe damit bis 450 Meter unter schwierigen Windverhältnissen beim Schuss durch ein Tal Wild erlegt.

Es ist klar, dass die Einsetzbarkeit und Wirkung einer Patrone von vielen Faktoren abhängig ist (Entfernung, Lauflänge, Wind und andere Umweltverhältnisse, Treffersitz etc.) - vor allem aber von der Art des Geschosses. Nur erlaubt eine so populäre und etablierte Patrone schlichtweg eine größere Geschossauswahl als ein Newcomer, ein in Vergessenheit geratener Oldie oder eine exotische Wildcat. Denn es lohnt sich für die großen Hersteller nicht, Eigenentwicklungen oder hinzugekaufte Geschosse in jedes mögliche Kaliber zu verladen.

Abgesehen von der guten Einsetzbarkeit der .300 Win Mag auf der Ansitz- und Drückjagd, die ich aus einem 65 cm-Lauf mit Lutz Möller-Bremse und 19 mm Laufdurchmesser einer Mauer M03 (hier beschrieben) verschiesse, habe ich sie in den vergangenen 12 Jahren auf rund 30 Wildarten weltweit bei Temperaturen von minus 30 bis plus 40 Grad Celsius verwendet. Und dafür habe ich mir meistens das passende Geschoss ausgesucht und die Waffe nicht nur entsprechend neu eingeschossen, sondern auch auf verschiedene Entfernungen ermittelt wie ich die Absehenschnellverstellung verändern muss, um weiter "Fleck anhalten" zu können. Denn ich habe immer wieder gesehen, dass kein Ballistikprogramm "geschossene Werte" ersetzen kann, sondern nur einen ersten Anhalt bietet.


RWS Kegelspitz aus Rotwild geborgen


Die Grenzen der .300 Win Mag liegen wie in meinen Büchern geschildert bei schusshartem afrikanischen Wild wie dem Oryx (das ich wie hier beschrieben heute lieber mit der .375 H & H oder 9,3 x 62 schiesse) und sehr starken Keilern wie sie in Anatolien im Winter auftreten (abhängig von der Geschosshärte). Für alles größer gleich dieses Wildes - insbesondere bei potenziell gefährlichem Wild (etwa einem Schwarzbär oder europäischen Braunbär) - würde ich die .338 Winchester (besitze ich nicht, ist wegen grosser Verbreitung aber leicht zu erwerben) oder die .375 H & H (hier beschrieben) nehmen.

Begonnen habe ich mit dem sehr präzisen 200 Grain-Geschoss Swift A-Frame in einer Norma Patrone. Das A-Frame wurde in den 80er Jahren erfunden und ist sowohl ein Verbundgeschoss als auch eines mit einer Querwand, die weitergehende Deformation verhindert (ähnlich wie das Partition). Das Restgewicht beträgt zuverlässig 95 Prozent. Alles in allem eine hervorragende Patrone bei schwererem Wild. Ich habe damit nahezu alle mittelgrossen Antilopen gejagt.

Die am anatolischen Schwarzwild fast gescheiterte Patrone von Federal (ein Keiler, der mich annehmen wollte, "verdaute" insgesamt sieben Treffer) verfügte über ein Nosler Partition-Geschoss (180 Grains). Das 1960 erfundene Nosler Partition verfügt über einen festen Deformationsstop. Der nicht deformierende Restkörper von noch 65 bis 70 Prozent Masse sorgt für große Eindringtiefe.
Diese Patrone hat sich aber aus meiner Waffe als unpräziseste Patrone erwiesen, die ich jemals für die .300 Win Mag verwendet habe. Das mag bei anderen, insbesondere amerikanischen Waffen jedoch völlig anders sein.

Beim Rotwild in Schottland (von maximal rund 90 kg aufgebrochen, eher bis 80 kg bei den meisten Stücken) habe ich ebenfalls eine starke Geschossabhängigkeit festgestellt. Das extrem präzise RWS-Kegelspitzgeschoss (165 Grains) erlegte zwar zuverlässig, zeigte aber auf größere Entfernungen keinen Ausschuss. Das Kegelspitz ist ein herkömmliches Teilmantelgeschoss aus den 60er Jahren, dessen Restkörper von rund 55 Prozent sich auf den ca. 1,8fachen Kaliberdurchmesser verbreitert und die Energie auf den ersten 15 bis 20 cm Eindringtiefe abgibt.

Für den traditionsbewussten Stalker ist wie hier beschrieben übrigens nach wie vor alles ausser einer .270 Winchester indiskutabel. Wer mit einer .300 Win Mag anreist (und wie ich vielleicht die heimliche Zustimmung des jüngeren Helfers, der selbst eine 7 mm Rem Mag führt, bemerkt), kann allenfalls noch durch eisenhartes Marschieren, Kriechen und bewegungsloses Ausharren Akzeptanz erreichen...

Als ebenso präzise hat sich das RWS-Doppelkern mit ebenfalls 165 Grains erwiesen.  Es behält nur rund 65 Prozent Restmasse während sich der (vordere) Rest schnell zerlegt und mit starker Energieabgabe abreisst.

Bei Gams und Steinbock sind beide RWS-Patronen sehr erfolgreich einsetzbar gewesen. Trotz aller anderslautenden Legenden ist dieses Wild nicht so schusshart, dass die geringe Eindringtiefe Probleme bereitet hätte.


Kaum Wildbretentwertung bei Reh- und Rotwild mit Kegelspitz und Doppelkern


Vorbehalte gegen die Patrone beim Rehwild haben sich als absolut unbegründet erwiesen und die .243 eines solchen besorgten schottischen Stalkers zeigte mit einem Ballistic Tip-Geschoss eine weit erschreckendere Wirkung als ich es mit der .300 bei Rehwild von Estland nach Südfrankreich gesehen hatte. Das Ballistic Tip von Nosler (1984 auf den Markt gebracht) habe ich nur bei dieser Leihwaffe geschossen. Es gilt zwar als äußerst präzise, zerlegt sich aber schnell und kann entsprechend viel Wildbret zerstören.


Splitter der Speed Tip (allerdings hier 8 x 57 IS geborgen aus Puma)


Die relativ neue RWS Speed Tip-Professional (165 Grains), bei der ein Teil des Geschosses zuverlässig und auf jede Entfernung splittert, ist nach guter Wirkung auf starke Balkan-Gams im Moment meine präferierte Patrone für die Auslandsjagd.

Eins ist klar: Sollte mir irgendwo auf der Welt die Munition ausgehen, ob in Anatolien, Namibia oder British Columbia, so wird sich vermutlich eher Ersatz im Kaliber .300 Win Mag auftreiben lassen als in irgendeinem anderen Kaliber!
Und kaum ein anderes Kaliber hat mit seiner kostengünstigen Munition und flacher Flugbahn dafür gesorgt, dass ich einerseits genug trainieren konnte und andererseits selbst im Falle eines weniger guten Schusses getroffen habe und ausreichend Energie im Ziel abgeben konnte.

Sollte ich heute ein Gewehr für die Auslandsjagd kaufen, das mir auch zu Hause nützlich ist, so wäre es (abgesehen von Spezialverwendungen) ein solider Repetierer im Kaliber .300 Win Mag. Und dürfte ich überhaupt nur noch ein Gewehr besitzen, so wäre es das selbe! Ich denke, das sagt alles.


Weiterführende Literatur
- Craig Boddington: Safari Rifles II. Long Beach 2009.
- J. Sott Olmsted: Make Every Shot Count!. Long Beach 2014.
- Pierre van der Walt: African Medium Game Cartridges. Johannesburg 2018.
- Manfred R. Rosenberger: Jagdgeschosse. Stuttgart 2007.