Jagdethik: Jagd und Sport sind kein Widerspruch

Aufgrund eines naturgemäß starken Fokus auf die eigene, die deutsche Jagdkultur und auch aufgrund der Unkenntnis anderer jagdethischer oder gesetzlicher Rahmenbedingungen besteht unter deutschen Jägern häufig ein Missverständnis dahingehend, dass unsere Waidgerechtigkeit und das angelsächsisch geprägte Verständnis von Sportmanship in einem Widerspruch zueinander stehen. Das ist meiner Meinung nach nicht der Fall wie ich im Folgenden zeigen möchte. Ich denke, dass man durchaus waidgerecht und sportlich gleichzeitig jagen kann.

Zunächst zu den Begriffen „Jagd“ und „Sport“. Schon hier trennen Angelsachsen nicht. Die Encyclopaedia Britannica versteht unter Jagd („hunting“):
„sport that involves the seeking, pursuing, and killing of wild animals and birds, called game and game birds, primarily in modern times with firearms but also with bow and arrow. In Great Britain and Western Europe, hunting is the term employed for the taking of wild animals with the aid of hounds that hunt by scent, whereas the sport of taking small game and game birds with a gun is known as shooting. In the United States and elsewhere the term hunting is used for both hunting and shooting. In fox hunting, the kill is made by the hounds.”




Für Angelsachsen besteht also kein Widerspruch zwischen Jagd und Sport (und zwar egal ob der Jäger oder ein Jagdhilfstier das Wild erlegt).

Etymologische Lexika der deutschen und englischen Sprache verstehen unter „Sport“ eine im weitesten Sinne körperliche Tätigkeit, die bestimmte Fertigkeiten voraussetzt und ausgeübt wird, weil sie so etwas wie Freude oder Entspannung bietet. In beiden Sprachen leitet sich das Wort von den alten englischen und französischen Worten „disport“ und „desport“ ab, die wiederrum vom Lateinischen „deportare“ (übersetzt „sich betragen“, „sich vergnügen“) abstammen. Unter neuen Deutungen des englischen Wortes „Sport“ wird ausdrücklich auch Jagen und Angeln aufgeführt, so dass es nicht verwunderlich ist, dass sich zum Beispiel die schottische Fremdenverkehrsorganisation „The Scottish Country Sports Tourism Group“ ausschließlich mit folgenden Themen beschäftigt:
„all country sports in Scotland from game shooting – including pheasant, grouse, partridge, hare, pigeon and ptarmigan - to wildfowling, deer stalking (red, fallow, roe and and sika deer) and world class fishing including game angling, coarse and sea angling (including salmon, trout and grayling).“

Die angesehene internationale Jagdvereinigung „Rowland Ward Guild of Field Sportsmen” trägt nicht nur den Begriff „Sport“ im Namen, sondern legt für ihre Mitglieder auch einen Code of Conduct fest, an dem sie sich zu jeder Zeit auf der Jagd orientieren müssen – und zwar ausdrücklich gleichgültig ob sie das Gesetz im jeweiligen Jagdland vorschreibt oder nicht. Zu den Regeln gehört u.a.
  • nur zu den Stunden mit Tageslicht zu jagen,
  • nicht vom Auto aus oder in unmittelbarer Nähe des Autos zu schießen oder mit dem Auto Wild zu treiben,
  • kein Luftfahrzeug zu nutzen, um Wild festzustellen oder zu hetzen oder in unmittelbarer Nähe von Wild zur Jagd zu landen,
  • nur Waffen einzusetzen, deren Kaliber und Energie Wild schnell und schmerzlos zu töten kann,
  • keine Muttertiere und noch unselbständige Jungtiere zu töten,
  • kein Wild zu töten, dessen Trophäe oder Wildbret nicht verwertet wird
  • nicht in Gattern zu jagen, in denen Wild nicht selbstbestimmt leben kann (das beinhaltet die Möglichkeit vor dem Jäger zu fliehen und artgerechten Zugang zu Wasser und Nahrung sowie Möglichkeiten zum Unterschlupf und zur Fortpflanzung zu haben)
 




Man erkennt schnell die große Schnittmenge zwischen dem, was Angelsachsen als „unsportlich“ und Deutsche als „nicht waidgerecht“ verstehen.
Für meine Fragestellung nach der Vereinbarkeit von Jagd und Sport sind darüber hinaus folgende Bestimmungen von Rowland Ward relevant:
  • der ausdrückliche Verzicht auf Wettbewerb bei der Jagd („That all forms of competition in the field between Sportsmen whilst hunting and fishing be avoided.“), der ein wesentliches Element vom dem, was Deutsche unter Sport verstehen aus dem angelsächsischen Begriff eliminiert, und
  • die Trennung der sportlichen Jagd von Reduktionsmaßnahmen oder Fangjagd (“The Guild recognises that ’culling’, ’cropping’, ’trapping’, ’capture’ and vermin control are a necessary part of game management as long as they are conducted with consideration and humane treatment of the wildlife involved. However, at no time can these activities be regarded in the context of Field Sports.”). Damit sind bestimmte Verfahren zwar bei der sportlichen Jagd verboten, nicht aber bei notwendiger Reduktionsjagd oder z.B. beim Management von Problemtieren (Problem Animal Control). Ein ähnliches Verständnis scheint sich langsam auch in Deutschland zu entwickeln (z.B. testweiser Einsatz von Nachtsehoptiken auf Jagdwaffen bei der Bejagung von Wildschaden verursachendem Schwarzwild).

Der amerikanische Boone and Crockett Club ist eine Organisation, die 1887 von Theodore Roosevelt und anderen mit dem Ziel gegründet wurde, das Wild und die Jagd in den USA künftigen Generationen zu erhalten und hat die ersten Nationalparks und die ersten Jagdgesetze in den USA initiiert. Er verbindet beispielhaft (sportliche) Jagdausübung und Hege mit seiner Zielsetzung:
“to promote the conservation and management of wildlife, especially big game, and its habitat, to preserve and encourage hunting and to maintain the highest ethical standards of fair chase and sportsmanship in North America”.

Für seine Mitglieder gelten ganz ähnliche Regeln wie für Rowland Ward. Darüber hinaus definiert der Boone and Crockett Club den Begriff „fair chase“, also faire Jagdausübung als: „the ethical, sportsmanlike, and lawful pursuit and taking of any free-ranging wild, native North American big game animal in a manner that does not give the hunter an improper advantage over such animals”.

Mit einer – allerdings wichtigen – Ausnahme stimmen viele dieser Forderungen von Rowland Ward und Boone and Crockett mit einem 2014 unterzeichneten „Positionspapier des Deutschen Jagdverbandes und des Internationalen Jagdrates zur Erhaltung des Wildes“ mit dem Titel „Nachhaltige Jagd im Ausland“ überein. Denn darin heißt es u.a.:
  • „Der Jäger muss sich über die im Gastland und international geltenden Jagd- und Schutzbestimmungen ausreichend informieren und diese in der Jagdpraxis beachten.“
  • „Als waidgerecht gilt nur das Nachstellen von Wild in natürlichen Lebensräumen, wo es sich selbst ernährt und alle Möglichkeiten und das Bestreben zur Flucht hat – bei kleinen Gattern oder bei zahmen, betäubten und habituierten Tieren ist dies nicht gegeben. Das Tier ist ohne künstliche Lichtquellen und nicht von Motorfahrzeugen aus zu erlegen. Die Jagd auf weibliches Wild mit abhängigen Jungen ist unethisch. Angeschossenes Wild ist in jedem Falle nachzusuchen."
  • „Zur Jagd sind nur geeignete Waffen und Kaliber zu verwenden. Der Jäger ist verpflichtet, seine Waffe vor der Jagd auf Funktionstüchtigkeit und Treffsicherheit (Probeschuss vor Ort) zu überprüfen.“

Soweit die Übereinstimmung. Nicht mehr konform mit Rowland Ward oder Boone and Crockett und aus meiner persönlichen Sicht zudem unzulässig ethnozentrisch ist jedoch die Forderung:
„Das Verhalten des Gastes sollte sich an den allgemein anerkannten Grundsätzen der Waidgerechtigkeit und der jagdlichen Ethik orientieren, auch wenn das Gastland dies nicht verlangt. Die Grundregeln des Natur-, Tier- und Artenschutzes sind im praktischen Jagdalltag zu berücksichtigen.“

Diese Bestimmung ist schon von daher wertlos, als dass der Grundsatz der Waidgerechtigkeit eben nicht weltweit universell ist und auch Tier- und Naturschutz teilweise völlig unterschiedlich verstanden werden.




Der DJV selbst versteht in seinem Positionspapier „Waidgerechtigkeit“ unter diesem Begriff drei Aspekte: „Der Tierschutzaspekt betrifft die Einstellung des Jägers zum Tier als Mitgeschöpf, dem vermeidbare Schmerzen zu ersparen sind. Der Umweltaspekt fordert vom Jäger die Einbeziehung der Umwelt in ihrer Gesamtheit in sein Denken und Handeln. Der mitmenschliche Aspekt betrifft das anständige Verhalten gegenüber anderen Jägern sowie der nicht die Jagd ausübenden Bevölkerung.“ Weiterhin lautet die engere Definition von Waidgerechtigkeit: „die Summe der rechtlich bedeutsamen, allgemein anerkannten, geschriebenen oder ungeschriebenen Regeln … die bei der Ausübung der Jagd als Waidmännische Pflichten zu beachten sind. … Allgemein anerkannt sind alle Regeln, die im Bewusstsein der ganz überwiegenden Zahl der Jäger lebendig sind.“ Damit ist freilich wenig gesagt, wie einige Beispiele belegen:
  • Im neuen Jagdgesetzes Nordrhein-Westfalens ist beispielsweise ein umfangreiches Fütterungsverbot auch in Notzeiten enthalten. Wild auch nach Waldbränden, Hochwasser oder in extreme harten Wintern verhungern zu lassen, wäre damit zwar gesetzeskonform, bleibt aber unethisch. Ist es also waidgerecht?
  • Die weitgehende Einschränkung der Fangjagd, das Verbot der Baujagd und das Verbot, wildernde Hunde und Katzen zu erlegen (gleiches gilt auch im neuen Jagdgesetz in Rheinland-Pfalz und mit Einschränkung auch in Baden-Württemberg), ist heute ebenfalls Rechtsnorm, aber im Hinblick auf die Folgen für das Niederwild, speziell Bodenbrüter wohl kaum mit dem im Bundesjagdgesetz festgeschrieben Auftrag der Hege zu vereinbaren. Ist es damit waidgerecht?
  • Laut Bundesjagdgesetz darf – anders als in anderen Ländern – auf gesundes Wild grundsätzlich nicht mit Pistolen oder Revolvern geschossen werden. Für Büchsenpatronen wird hingegen eine bestimmte Auftreffenergie bzw. ein bestimmtes Kaliber gefordert, d.h. die Rechtsnorm richtet sich nach der Geeignetheit und nicht grundsätzlich nach dem Waffentyp. In den USA, Südafrika und anderorts wird durchaus mit der Kurzwaffe gejagt. Dazu gibt es nicht nur passende Optiken oder Patronen (wie z.B. die 500 S&W mit Geschossgewichten von 275 Grains bis 400 Grains), sondern auch Kurzwaffen wie die Thompson Contender, die auch Langwaffenpatronen verschießen können. Warum sollte die Jagd damit weniger waidgerecht sein, als z.B. die mit einer Büchse mit gesetzlich erlaubtem, aber vergleichsweise leistungsschwächeren Kaliber?
  • In Deutschland darf laut Bundesjagdgesetz auf Schalenwild nicht mit Schrot geschossen werden (es gibt Ausnahmen in Landesjagdgesetzen hinsichtlich des Fangschusses). In der Schweiz – mit in wesentlichen Teilen ähnlicher Jagdausübung – hingegen ist der Schrotschuss mit Flinten bis Kaliber 12 erlaubt und wird in Bezug auf die Jagd mit Hunden auf Rehwild als ausgesprochen traditionelle Jagdart verstanden. In den Kantonalen Jagdverordnungen wird ausdrücklich geregelt, welches Schalenwild nur mit der Kugel erlegt werden darf und welches mit dem Flintenlaufgeschoss bzw. mit der Schrotpatrone (Beispiel Luzern: Gams- und Rotwild nur Kugel, Schwarzwild Kugel und Flintenlaufgeschoss, Rehwild auch Schrot). Ist es also nicht waidgerecht, wenn man in der Schweiz eingeladen ist und dort mit der Flinte Rehwild erlegt, obwohl es gesetzeskonform ist?
  • Und letztlich sind zwar bestimmte technische Hilfsmittel verboten (klein zerlegbare Waffe, künstliches Licht, künstliche akustische Lockinstrumente), deren natürliche Entsprechung (Mondlicht insbesondere bei Schneedecke, Blatter) aber erlaubt. In manchen Bereichen sind technische Hilfsmittel aber nicht verboten (Wildkameras, Sensoren bei der Kirrung und Fallenjagd) und bei Waffen und Optik wird nahezu jeder technische Fortschritt mitgemacht (rasantere Magnumkaliber, hochauflösende Optik, extreme Vergrößerung). In Bezug auf den Technikeinsatz gibt es also höchst widersprüchliche Regelungen. Ein Artikel in der Online-Ausgabe von Field and Stream bringt es auf den Punkt: With the hunting season almost upon us and the technical age in full swing. Does fair chase still exist? To name a few but not limit to. Remote view trail cameras, night vision, laser range finders, suppressed rifles, scent reduction, hunting over bait or salt, fenced environments, high powered scopes, crossbows, black powder rifles that mimic modern rifles, APPs to dope ballistics. They even have a device to tell you which way the wind blows.”

Ich denke, es gibt einen weiteren Grund dafür, warum viele Deutsche Jagd und Sport nicht miteinander vereinbaren können. Er hängt mit der Art der Jagdausübung zusammen. Eine reine Ansitzjagd stellt eine andere physische und psychische Belastung dar, als eine mehrstündige Pirsch. Und ein Schuss auf größere Distanz in unbekanntem Gelände und/oder ein kleineres Ziel ist schwieriger als ein Schuss vom Hochstand auf geringere und vor allem bekannte Entfernung.

Schließlich dürfte die Frage, warum Deutsche jagen oder vielmehr was Deutsche sagen, warum sie jagen bedeutsam sein. Angesichts immer lauter werdender grundsätzlicher Kritik an der Jagd suchen viele Jäger ihr Heil in Legitimationsversuchen wie „Jagd ist notwendig zur Regulation der Wildbestände“ oder „Jagd ist praktizierter Naturschutz“. Zwar stimmt das alles. Aber es ist eben nur ein Teil der Motivation, denn die Freude an der Jagd dürfte für die Mehrheit der Jäger zumindest gleichwertig sein.
Und auch der Gesetzgeber tut das seine dazu, Jagd zu entemotionalisieren: So fordert heute das Tierschutzgesetz für das Töten eines Tieres einen nicht näher definierten „vernünftigen Grund“. Darunter dürfte die Bevölkerung mehrheitlich nicht die Jagd um der Jagd Willen verstehen. Wohl aber die Regulation eines Wildbestandes.




Zu Unrecht, denn das Bundesjagdgesetz unterscheidet nach wie vor Jagdausübung und Hege:
„Das Jagdrecht ist die ausschließliche Befugnis, auf einem bestimmten Gebiet wildlebende Tiere, die dem Jagdrecht unterliegen, (Wild) zu hegen, auf sie die Jagd auszuüben und sie sich anzueignen. … Die Hege hat zum Ziel die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen … Die Hege muss so durchgeführt werden, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden.“

Der Gesetzgeber zählt also die Hege in der Auflistung neben der eigentlichen Jagdausübung auf und beschreibt ihre Rahmenbedingungen (die häufig mit denen der Jagdausübung vermischt werden).

Schlussendlich vergessen Jagdgegner und Jäger, dass ein vernünftiger Grund für die Jagd schon in der Jagd selbst besteht, denn sie – als Form der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen – schafft weltweit einen Anreiz, Tierarten zu erhalten. Eugene Lapointe, ehemaliger Generalsekretär von CITES (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora), wies in einem Beitrag für die BBC darauf hin, dass das Schicksal vieler Tiere davon abhänge, ihre nachhaltige Nutzung (z.B. durch die Jagd) zuzulassen:
„Sustainable use still seems counterintuitive to some. But the conservation results with species like African elephants and the fully recovered and abundant Florida crocodile prove otherwise. … Unfortunately, there is a tendency for nations to practise sustainable use at home while prescribing protectionism abroad. … In the future, the fate of many animals may well depend on the extent to which the public around the world starts to accept the idea of utilising wildlife in a sustainable way.”

Als Resümee halte ich fest, dass eine sportlich ausgeübte Jagd, die in erster Linie, aber nicht ausschließlich um des jagdlichen Erlebnisses willen ausgeübt wird, keinerlei Widerspruch zur deutschen Waidgerechtigkeit darstellt und darüber hinaus ein für den Artenerhalt relevanten Beitrag darstellt. Es gibt bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen der Jagd international viel mehr Übereinstimmendes als Trennendes und der Kerngedanke von „fair chase“, also fairer, anständiger Jagdausübung, ist nahezu (noch) universell. Nicht universell sind hingegen einzelne gesetzliche Bestimmungen, die wir zwar jeweils peinlich genau einhalten sollten, um die Jagdausübung nicht zu gefährden, die aber weder in allen Fällen internationale Geltung haben, noch in wünschenswert sind.