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Hungern, Fasten und die Lehren daraus

Fasten ist keine Modeerscheinung, sondern aus nahezu allen alten Religionen bekannt und hat zweifellos positive gesundheitliche Auswirkungen. Grund genug, sich damit näher zu beschäftigen.
Aber ich will mich nicht gesundheitsorientierter darstellen, als ich bin: Als ich am 31. Dezember 2021 feststellte, dass ich in den letzten Wochen über zwei Kilo zugenommen hatte und einige sehr langwierige Verletzungen immer noch nicht verschwunden waren, war zumindest weniger Essen ein Thema. Und während ich die Youtube-Survival-Serie "7 vs. Wild"* angesehen hatte, wo die Teilnehmer über sieben Tage hinweg außer Blaubeeren, Wasser und - im seltenen Erfolgsfall ein bisschen Fisch - keinen Zugang zu Nahrung hatten, fragte ich mich außerdem, wie ich diese Zeit durchgehalten hätte. Ehrlich gesagt wollte ich es mir schlicht selbst beweisen. Denn mit einem Schlafsack, einer Plane, einem Messer und einem Feuerstahl wäre der Rest dieser Herausforderungen im Norden Schwedens für mich zu meistern gewesen. Das wusste ich aus Erfahrung.

Interessant fand ich einen Beitrag eines anderen, sehr unkonventionellen Youtubers namens Richans*. Er hatte auf einer Tour erklärt, er mache nicht Mal Feuer. Denn er sei nicht nur Veganer, sondern auch im Fasten geübt und esse einfach nichts. Er brauche auch keine Ablenkung, sondern meditiere eben.

Bei einigen Lehrgängen und Durchschlageübungen in der Bundeswehr, war genau das das Problem gewesen: Man war in der Gruppe oder alleine unterwegs und musste nachts marschieren und sich tagsüber verborgen halten. Natürlich so gut wie ohne Verpflegung. Was also sollte man essen und tagsüber tun? Und: Sollte man ein trotz aller Tricks, den Rauch zu vermindern und zu zerstreuen, möglicherweise ein Feuer machen? Mit einer Gewöhnung an die Methode von Richans* waren die Antworten einfach: Man aß nichts, tat nichts (außer abwechselnd wachen) und machte kein Feuer (es sei denn, man war völlig durchnässt oder bei entsprechender Kälte). Das musste man nur eben durchhalten können ...


Die Nahrung von 7 Tagen

Warum fasten
Meine persönlichen Gründe habe ich erklärt (in erster Linie Willensschulung und Interesse an der Erfahrung).
Zweifellos hat Fasten auch positive gesundheitliche Wirkungen. Einen wirklich guten Überblick bot mir das Fastentagebuch eines anderen Youtubers, Kai Sackmann, einer Art Urgestein von Outdoor- und Survivalvideos auf Youtube. Ich will die gesundheitlichen Ausführungen hier nicht umfangreich wiedergeben und bin auch kein Arzt, aber fasse folgendes aus allem, was ich gehört, gelesen und selbst erfahren habe, zusammen:
  • Fasten fördert die Zellreinigung und verbessert die Immunabwehr (der Körper ist nicht oder kaum mit Verdauung beschäftigt)
  • Nach mehr als einem Tag Fasten greift der Körper auf Fettreserven zurück.
  • Fasten scheint die Tendenz zu Entzündungsreaktionen zu senken (deshalb empfahl es mir der Orthopäde).
 
Unterschied zu Hungern
Fasten und Hungern haben absolut nichts gemeinsam. Der entscheidende Unterschied zwischen Fasten und Hungern ist, dass man freiwillig und kontrolliert fastet. Über Hungern kann man hingegen nicht bestimmen und meistens ist auch unklar, ob und wann man wieder Nahrungsmittel bekommt. Die psychologische Wirkung ist deshalb eine völlig andere und Selbstaufgabe, Verzweiflung und Aggressivität sind Begleiterscheinungen des Hungerns. Ein in Russland gefangener Offizier, Oberst Arthur Boje, von der 44. Infanteriedivision, die in Stalingrad in Gefangenschaft geriet, berichtete über seine lange Zeit im Lager: "Die Verteilung der stinkenden Suppe, die Zählung und die Ausgabe der kärglichen Brotrationen waren die drei Stationen, um die sich das Leben drehte. Der Rest war Hunger; das hieß für viele stumpfes Dahinbrüten. Warten auf den Tod."** Bis 1947 starb rund eine Million gefangener deutscher Soldaten in diesen Lagern - die meisten schlicht an den Folgen von Unterernährung.
Hungernde töten für Essen oder essen Unverdauliches (z.B. Leder, Sägemehl, Gras, aber auch Ratten, Schlangen und letztlich in extremsten Situationen sogar Menschenfleisch***), um diese Ohnmacht zu überwinden. Menschen, die gehungert haben, entwicklen teilweise nie mehr ein normales Verhältnis zum Essen, sondern neigen zum Überfluss. Die Wirtschaftswunderjahre nach dem Zweiten Weltkrieg, die Werbung und das Ernährungs- und Genussmittelverhalten der Kriegsgeneration stehen beispielhaft dafür. 


Fastentagebuch
Bevor ich die einzelnen Tage behandele folgende Vorbemerkungen: 1. Die 87 kg hatte ich innerhalb einer Woche bis zum 6.1. durch ein gutes Sportprogramm sowie weniger Essen und Alkohol- und Süßigkeitenverzicht bereits auf 85,6 kg verringert. 2. Ich habe nicht so etwas Unappetitliches getan, wie Abführmittel zu nehmen. Warum auch. Diese Theorie aus den 30er Jahren von angeblichen Ablagerungen im Darm hat sich als Unfug erwiesen und leer wird er ohne Essen von ganz alleine.

Tag 1 (8.1.): Sogenannter Entlastungstag, zwei Äpfel, eine Birne, eine Banane und drei Liter Wasser. 1 h 22 Radtour, Eigengewichtstraining. Bemerke nichts Besonderes.
 
Tag 2 (9.1.): Etwas Traubensaft und vier Liter Wasser. Gepäckmarsch 2 h 42. Denke ab und zu an Essen. Abends leichter Kopfschmerz. Fühle mich etwas schlapp beim Marschieren.

Tag 3 (10.1.): Gewicht 83,4 kg. Vier Liter Wasser, etwas Gemüsesaft. 48 Minuten Fahrradergometer. Leichtes Kopfweh.

Tag 4 (11.1.): Gewicht 82,9 kg. Drei Liter Wasser, etwas Saft. 1 h 21 Radtour. Radfahren kommt mir etwas anstrengender vor als sonst. Zwei Mal leichte Kreislaufbeschwerden beim zu schnellen Aufstehen. Mir fehlt etwas "Spannkraft" und "Biss" - allgemein und beim Sport. Habe keinen Hunger, wohl aber Appetit auf ein gutes Essen.

Tag 5 (12.1.): Gewicht 82 kg. Drei Liter Wasser, etwas Saft. Langer Bürotag und danach 1h 06 Fahrradergometer. Leichte, ziehende Schmerzen in den Oberschenkeln in der Nacht. Scheinbar durch Übersäuerung des Körpers. Mir fehlt "Spannkraft".

Tag 6 (13.1): Gewicht 81 kg. Vier Liter Wasser, etwas Saft (nach dem Sport). Früh aufgestanden. Dann 3 h 08 Gepäckmarsch, dann Eigengewichtstraining. Fühle mich immer noch etwas weniger "bissig" auf dem Marsch, aber nicht mehr schlapp. Habe immer noch keinen Hunger, aber Appetit auf leckere Speisen. Beim Einkaufen kommt es mir so vor, als sei es gar nicht mein Einkauf, den ich für nach der Fastenzeit tätige. Gewicht bei 81 kg.

Tag 7 (14.1.): Gewicht 79,9 kg  Drei Liter Wasser, ein Apfel, zwei Birnen, zwei Bananen. 1 h 23 Radtour. Abends Stammtisch. Sitze neben gutem Essen und kaltem Bier. Es macht mir nicht viel aus, aber ich kann es kaum erwarten, bis vier Wochen später wieder Stammtisch ist und ich alles nachholen kann.

Am ersten Tag ohne Fasten (Gewicht morgens noch einmal gesunken auf 79,5 kg und damit in 16 Tagen Verlust von 7,1 kg) arbeite ich mich erst mit etwas Toast und Honig, später mit Huhn wieder an eine halbwegs normale Ernährung heran. Ich habe eine Art kritischen Moment, als ich morgens den Toast esse und kurz denke, ich sollte besser weiter nichts essen, es klappe ja gerade so gut und jetzt "stopfe ich mich voll". Ich gehe darüber hinweg.
Abends kaufe ich ein und verbringe sehr viel Zeit beim Käse, beim Fleisch und der Wurst sowie bei den herrlichen Weinen und Spirituosen. Ich kaufe jedoch nichts davon. Es kommt mir so vor, als habe das Fasten Essen noch wichtiger gemacht als es zuvor war. Ich gehe auch darüber hinweg.
Alkohol, Zucker/Süßigkeiten und Kaffee/Tee lasse ich weitere zwei Wochen weg. Während der sieben Tage habe ich jeden Tag zwischen 2.000 und 2.500 Kalorien verbrannt (laut Sportapp, die ich hier beschrieben habe).


Persönliche Lehren
Welche Lehren ziehe ich persönlich aus meiner vergleichsweise kurzen Fastenzeit?
  1. Ich bleibe trotz einiger Tage totalen Nahrungsverzichts weitgehend leistungsfähig. Essen ist in einer akuten Notsituation eine ganze Weile nicht meine Priorität (das habe ich in einem hier erschienenen Beitrag über Überlebenstraining bereits berücksichtigt, wenn auch damals nicht aus eigener Erfahrung).
  2. Meine Willenskraft ist nach wie vor in Ordnung und es tut gut, sie weiter ab und zu zu schulen.
  3. Ich werde das vergleichsweise harte Fasten nicht fortsetzen (vielleicht nächsten Januar?) und es ist für die meisten gesundheitlichen Ziele auch nicht nötig. Intervallfasten (z.B. täglich während acht Stunden Essen und während 16 Fasten) ist mir zu alltagsbeherrschend. Aber ich denke, ich werde alle 14 Tage 36 Stunden fasten, also einen Tag und die vorangegangene Nacht, und trotzdem lange Ausdauersport betreiben. Das wird mir gesundheitlich und vom Gewicht her gut tun.

Das erste richtige Essen

Grundsätzliche Lehren
  1. Die These, dass man sich rechtzeitig von Genussmitteln entwöhnen muss, bevor man auf Reisen oder in militärische Einsaätze bzw. auf Lehrgänge geht, wo sie nicht zur Verfügung stehen, kann ich nicht unterstützen. Dass ich zum Beispiel immer noch keinen Kaffee trinke und keinen Zucker und keinen Alkohol zu mir nehme, bedeutet nichts für meine körperliche Belastbarkeit. Ich spüre keine körperliche Abhängigkeit und zwar denke ich ab und zu daran, aber meine Gedanken kreisen um nichts davon.
  2. Die These, dass man vor einem Outing auf der Auslandsjagd oder einem militärischen Auftrag, auch, wenn sie nur "harmlos" erscheinen, mehr als genug essen und trinken sollte, weil einem etwas unvorhergesehenes passieren könnte (eine lange, harte Nachsuche oder ein Hinterhalt), hingegen unterstütze ich rückhaltlos. Denn schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit, konnte ich zwar körperlich noch alles machen, aber mir fehlte einiges an Aggressivität, die gerade für unvorhergesehene Situationen und das an die körperlichen Grenzen und darüber hinaus Gehen so wichtig ist (jedenfalls bei mir).
  3. Die These, dass man Körperfett haben muss, wenn man sich langen und harten körperlichen Belastungen stellen muss - erst recht in der Kälte - hat sich ebenfalls erneut bestätigt. Ich wußte dies nicht nur von harten Lehrgängen oder Bergjagden selbst und man kann es auch sowohl von Veteranen beispielsweise des Falklandkrieges oder der amerikanischen Ranger School als Tipp hören, sondern es ist auch selbsterklärend, wenn man sich vor Augen hält, das bei einem Kaloriendefizit bereits nach einem Tag auf Fettreserven zurückgegriffen wird. Schlecht, wenn man kaum Körperfett hat.
  4. Eigenes Fasten - insbesondere mit weitergehender körperlicher Belastung - stellt eine wichtige individuelle Erfahrung dar, die man in verschiedenem Alter ab und zu machen sollte, um zu wissen, wie der eigene Körper reagiert.
 
Anmerkungen
*Man kann von einigen Survivalexperten auf Youtube etwas lernen, von den allermeisten jedoch wenig oder nichts. Es gibt genug Spinner auf Youtube, die mit falschen Biographien und angelesenen Kenntnissen versuchen, ein paar Euro zu verdienen.
Das bedeutet nicht, dass ich jeweils alles gut und richtig finde, sondern ich suche mir sozusagen "die Nuggets" raus. Und ehrlich gesagt mag ich bei manchen schlicht die Art nicht oder das Ausmaß an Kommerzialisierung (zu Produkttests habe ich hier etwas geschrieben).
**Zitiert nach Paul Carell und Günter Böddeker: Die Gefangenen. Leben und Überleben deutscher Soldaten hinter Stacheldraht. 1980.
***Beispielsweise stürzte 1972 ein Flugzeug in den Anden ab. Einige der Passagiere überlebten monatelang bei Temperaturen von bis zu minus 40 Grad unter anderem, weil sie das Fleisch der beim Absturz getöteten Menschen aßen. Der Verzehr von Menschenfleisch ist auch als Massenphänomen beobachtet worden wie z.B. 1932/33 aufgrund der Zwangsmassnahmen Stalins in der Ukraine bei der dortigen Bevölkerung bei der rund sieben Millionen Ukrainer starben - zumeist an Hunger.